Tourismus ist in Niedersachsen ein Milliardenmarkt. Als die niedersächsische Landesregierung den Tourismus zur Leitökonomie erhoben hat, war die Freude in der Branche groß. Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt.
Das wurde beim Sondierungsgespräch auf Norderney deutlich, zu dem sich führende Köpfe touristischer Destinationen wie der Nordseeküste und den Ostfriesischen Inseln, dem Harz und dem Osnabrü- cker Land, dazu der DEHOGA, die regionalen IHKs sowie der Tourismusverband Niedersachsen zum fachlichen Austausch trafen. Der Wunsch an die Landesregierung wurde deutlich: Den Bekenntnissen müssen jetzt auch Taten folgen!
Niedersachsen braucht eine verlässliche Tourismusstrategie
Trotz klarer Ankündigung im Koalitionsvertrag, dem Tourismus Priorität einzuräumen, empfindet die Branche eher das Gegenteil. Insbesondere im Hinblick auf die Heterogenität erhofften sich viele touristische Akteure die Unterstützung des Landes als verbindendes Element. Schließlich setzen Leitökonomien eine professionelle, strategische und zukunftsorientierte Entwicklung voraus. Dafür ist eine Steuerung mit klaren Zuständigkeiten auf Landesebene erforderlich, die die unterschiedlichen Interessen bündelt und finanziell mitträgt.
Zentral ist die Forderung nach einer vernetzten Tourismusstrategie, die den Wirtschaftszweig nicht isoliert betrachtet, sondern mit Raumordnung, Klimaschutz, Mobilität, Digitalisierung und Fachkräftesicherung verbindet. Tourismus ist Lebensraumentwicklung, Strukturförderung und Wirtschaftsfaktor und muss entsprechend als Querschnittsaufgabe angelegt werden. Dafür wünschen sich die Akteure eine sichtbare Wertschätzung und einen Dialog auf Augenhöhe.
Die Branche erwartet jetzt ein konsistentes, strukturell verankertes und nachhaltig finanziertes Bekenntnis der Landesregierung zum Tourismus mit echter Wirkungskraft. Der Tourismus ist und bleibt standortgebunden und hat gerade auch in schwierigen Zeiten wirtschaftliche Kraft und Resistenz bewiesen: Er ist eine verlässliche Größe im niedersächsischen Bruttosozialprodukt.
Herausforderungen: Eine Schlüsselbranche unter Druck
Trotz ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Relevanz steht die Tourismusbranche Niedersachsens zunehmend unter massivem Druck. Ein zentrales Problem stellt die prekäre finanzielle Situation vieler Kommunen dar. In zahlreichen Regionen fehlen die Mittel, um touristische Infrastruktur zu erhalten und zukunftsfähig weiterzuentwickeln. Investitionen in Qualität, Barrierefreiheit oder Digitalisierung bleiben daher oftmals aus.
Zugleich verschärfen demografischer Wandel und Fachkräftemangel die Lage dramatisch. Der Dienstleistungssektor leidet unter strukturellem Personalmangel und damit unter sinkender Angebotsqualität. Die Konsequenz: ein stiller Rückzug aus der Fläche.
Darüber hinaus diagnostizieren die Fachleute ein latentes Umsetzungsdefizit in Politik und Verwaltung. Die vielbeschworenen Forderungen von Politikern und Politikerinnen nach Bürokratieabbau führen zum genauen Gegenteil. Ein seit Jahren systemischer Bürokratieaufbau durch zu lange Verfahren, fehlende Zuständigkeiten und mangelnde Ressourcen verhindert zunehmend unternehmerisches Handeln und gerät immer mehr außer Kontrolle. Zudem besteht der Wunsch nach effizienteren Kommunikationsstrukturen.
Gemeinsames Handeln ist jetzt gefragt
Die Teilnehmer des Sondierungsgespräches sind sich einig: Ohne klaren Kurs bleibt Niedersachsen ein touristischer Flickenteppich, während andere Bundesländer längst strategisch handeln und den Tourismus mit entsprechenden finanziellen Mitteln sinnvoll unterstützen.
„Die Runde der niedersächsischen Touristiker will Verantwortung übernehmen“, konstatiert Landrat Holger Heymann (Landkreis Wittmund), Vorsitzender des Tourismusverbandes Niedersachsen. „Wir dürfen uns von schönen bunten Bildern im Tourismus sowie den durchaus erfolgreichen statistischen Daten nicht von den Schwierigkeiten ablenken lassen. Der Tourismus ist kein Nebenschauplatz – er ist Standortfaktor, Lebensader und Zukunftsthema für ganz Niedersachsen“.
Die Branche hat Ideen, Investitionsbereitschaft und Innovationskraft. Doch ohne strategischen politischen Rahmen läuft Niedersachsen Gefahr, den Anschluss an einen zukunftsfähigen Tourismus zu verlieren. Die Runde ist sich sicher: Wenn der Tourismus in Niedersachsen einer echten Leitökonomie gerecht werden soll, bedarf es jetzt einer gemeinsam abgestimmten Kurskorrektur!
Über den Tourismusverband Niedersachsen e. V.
Der Tourismusverband Niedersachsen e. V. ist ein tourismuspolitischer Fachverband und dient seinen Mitgliedern als Interessenvertretung gegenüber Bund und Land. Darüber hinaus bietet er eine wichtige Plattform zum Informations- und Meinungsaustausch und unterstützt seine Mitglieder in wichtigen Fragen. Zu den Mitgliedern des Tourismusverbandes Niedersachsen gehören derzeit vierzehn touristische Organisationen, sechs Fachverbände sowie vier Hochschulen.